Notizen
zu Andy Scholz
Ohne
den Impressionismus würden wir nicht das flirrende Licht und
die blau – violetten Schatten sehen und ohne die Malerei
von Turner hätten wir noch nie den Nebel gesehen. Diesen Zusammenhang
erhellt für uns Oscar Wilde ganz elegant im Dialog vom „Verfall
des Lügens“.
Und ohne Joseph Beuys und Jannis Kounellis hätten wir nicht
die Vorstellung von Materialien und Oberflächen, wie wir sie
heute haben. Etwas auf einer Baustelle Abgelegtes wird jetzt für
uns etwas Hingelegtes, wir betreten die Realität einer Arbeitswelt
wie ein Museum, wenn wir es unserem Bewusstsein erlauben. Denn ohne
die ästhetische Schulung des Bewusstseins sähen wir nur
Bäume, Sand, gutes und schlechtes Wetter oder unerledigt gebliebene
Arbeit auf dem Bau.
Die Malerei hat uns gelehrt, was Atmosphäre ist und als die
Fotografie auf den Plan trat, spielte sie ihren Trumpf aus: Die scharfe
Genauigkeit. Fotografen wurden zu „Lichtbildnern“ und
im weiteren Verlauf des konkurrierenden Dialoges wurden Maler zu „Fotorealisten“.
So haben beide von einander gelernt, profitiert und sich gegenseitig
inspiriert. Und als der Film auch noch dazu trat und uns zeigte,
was ein „Setting“ ausmacht, haben wir dem Charakter von
Orten eine besondere, erweiterte Aufmerksamkeit geschenkt.
Ohne diese Erfahrungen, die sich in uns verdichtet haben, könnten
wir die Fotografien von Andy Scholz nicht so sehen und würdigen,
ja wir bemerkten vielleicht nicht einmal, dass es sich dabei um Bilder
handelt. Denn es geht hier tatsächlich im ganz ursprünglichen
Sinne von künstlerischem Bemühen um „das gute Bild“.
Hier soll nicht überwunden sondern erweitert werden, hier ist
der Blick auf das Eigentümliche, auf das Besondere, ja auch
auf das Schöne gerichtet.
Die Kunst der Fotografie macht ein betoniertes Zwischengeschoss zum
erhabenen Ort. Die strenge, die Horizontalen und Vertikalen betonende
Komposition zusammen mit einem mächtigen Chiaro -Scuro ermöglicht
diese Verwandlung. Bauplanen, Rollläden, Lochgitter und Gazevorhänge
im Streiflicht oder das Licht durchlassend werden zu grossartigen
fotografischen Gemälden. Und auch wenn Andy Scholz nicht der
Erste ist, der sich diese Ästhetik im Alltäglichen aneignen
konnte, um sie mitzuteilen, so lösst er doch das schwerste Versprechen
der Kunst ein: Dem Betrachter eine neue Sicht der Dinge mit auf den
Weg zu geben – also die Sicht des Künstlers als eigene
Sicht.
Giso Westing
Kurator der Galerie vom Zufall und vom Glück, Hannover
Februar 2012
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