Von
Lukas und Sebastian Baden
Ferenbalm-Gurbrü Station
präsentiert: Slices of Life – Contemporary Photography
17. November 2006 – 7. Januar 2007
Eröffnung am Freitag, den 17. November von 19.00-21.00 Uhr
»Slices of Life – Contemporary Photography” ist eine
auf das Medium Photographie konzentrierte Ausstellung. Sie vereint
Arbeiten von bereits international hochgeschätzten und jungen
aufstrebenden Künstlern aus 11 Ländern – von Anschütz
bis Zimbel, von Finnland bis Mexiko.
Slices of Life ist wie eine Pizza speciale. Jedes Bild belegt ein
Stück Leben. Es geht um Menschen und Geschichten, Amüsantes
und Skurriles. Die Photographie verbürgt sich einerseits für
die größte Glaubwürdigkeit und kann andererseits
das schönste Märchen erzählen. Jedes Bild enthält
einen Teil, doch nicht immer die ganze Geschichte. Man weiß nie,
zu welchem Zeitpunkt des Geschehens man einsteigt. Die Künstler
kommen aus verschiedenen Lagern; nicht alle sind in der Hauptsache
Photographen, aber es sind allesamt Motivjäger, welche die
Vielseitigkeit des Mediums herausfordern und nach den Rändern
des Erzählens oder den Horizonten der Abbildung suchen.
Ä
ußerst fragwürdige Gegenstände präsentieren
die „fakes“ von Boris Becker; was der Künstler
beim Zollamt dokumentiert ist entweder hochgradig halluzinogen
oder messerscharf – in jedem Fall aber illegal und deshalb
gut getarnt. Auch Jan van Holleben nimmt es mit der Täuschung
auf – seine Photographien überlisten die Schwerkraft,
damit der „dog rider“ über den Asphalt flitzen
kann und „Tarzan und Jan(e)“ ihre Lianenreise sicher
am nächsten Baum beenden. Janne Lehtinen träumt ebenfalls
vom Fliegen – wenn der junge Photograph von der Helsinki
School auch weniger spielerisch vorgeht als seine Bilder es erscheinen
lassen. Es bleibt bei der Sehnsucht nach dem Fliegen, dem Abheben,
der Übersicht aus der Vogelperspektive. Alle Flugversuche
finden sich am Boden wieder – wir wissen nicht, ob seine
merkwürdigen Flügelkonstruktionen jemals funktionieren
werden. In elegischer Nachbarschaft zu Janne Lehtinen befinden
sich die schwarz-weiß Photos von Rodrigo Valero Puertas im
wassergefüllten Plexiglasrahmen. Der in London am Goldsmith
College ausgebildete Mexikaner macht die Vergänglichkeit der
Schönheit daran sichtbar, wie die Pigmente und damit das Abbild
langsam aus der Oberfläche herausgewaschen werden.
„Slices of Life – Contemporary Photography“ zeichnet sich durch
Ambivalenzen aus. Süß und bitter, sinnlich und schmerzhaft zugleich
sind die von den Märchen der Gebrüder Grimm inspirierten Photographien,
die Annekatrin Meyers meist mit sich selbst im Bild inszeniert. Wo hier Literatur
als Vorbild dient, schöpft an anderer Stelle Gregor Brandler aus der symbolischen
Ordnung der Subkultur, und dabei soll alles echt sein: Rollen und Klischees sind
hier keine losen Zeichen, sondern unauslöschlich mit ihrem Träger verbunden – auch
wenn die Szene wechselt: Statt kühlem Bier an der Bar kalter Fisch im Wald.
In den Photographien von Stefanie Scheurell ist dagegen alles ein Rollenspiel;
die Künstlerin setzt sich zusammen mit ihrer Großmutter Ruth Wurmhöringer
in Szene. Beide ergänzen sich in ihren Rollen und machen deutlich, dass
Selbstdarstellung und absurde Verkleidung alterunabhängig sind.
Was Unorte und Unzeiten anbetrifft, so zeigen die Bilder von Jules Spinatsch
ein Stück Welt ohne Leben, die unter hartem Kunstlicht in Eiseskälte
erstarrt. Sie bezeugen die Künstlichkeit der Umwelt, wie sie um die Pisten
der Schweizer Alpen erscheint. Weniger erhaben, jedoch nicht weniger politisch
und am wenigsten emotional unbelastet ist das Motiv aus Woodstock, welches
uns Richard Prince bietet: „It’s a free concert from now on!“ In
Reproduktion und Wiederholung erklingt das Lied der freien Aneignung.
Dass Kunst keineswegs ein demokratischer Akt ist, sondern vielmehr ein geschlossener
Kreislauf, darauf spielt Christoph Anschütz an. Der Strohhalm, aus dem
er trinkt, führt nicht zur Limonade, sondern in eine Kanüle in seinem
Arm. Nicht nur hier kann einem die Pizza im Hals stecken bleiben. Hoffen wir
doch, das die abgehackten Rinderschnauzen, die Frank Siegle in Südamerika
ablichtete, nicht auf dem diavolo-Belag enden. Für unser Seelenheil ist
aber schon gesorgt, hat Frank Siegle doch auf der gleichen Reise den Ort gefunden,
an dem sich die Gläubigen mit frischer Hoffnung betanken können – so
jedenfalls lässt es der Christus auf einer Tanksäule vermuten.
Heiligkeit und Ökonomie, Kapitalismuskritik und das „wirkliche Leben“ – Slices
of Life sind ohne den schottischen Künstler Ross Sinclair nur eine halbe
Portion. Auf Ross’ Rücken prangen nämlich in riesigen tätowierten
Lettern die beiden Worte REAL LIFE, die er – selbstverständlich
mit freiem Oberkörper und in den obligatorischen grün-weiß-karierten
Shorts – in jeder für eine Photographie angemessenen Umgebung für
den Betrachter deutlich sichtbar exponiert. Die Klarheit im Bild steht
der Unklarheit des Geschehens bei Andy Scholz gegenüber; wer weiß, ob
die Mercedestür aus Not oder Notdurft offen steht, ob die Wäsche
aus Lust oder Faulheit noch lässig auf dem Polster liegt? Der Auslöser
greift mitten ins Leben, Vorsicht heiß und schlüpfrig: Intimität
und Gleichgeschlechtlichkeit sind ein Thema sowohl des Künstlerinnenpaars
mit dem Codenamen Thomas Lesser als auch bei Lucien Samaha: Der Kuss zweier
junger Frauen – die nur eine Erdbeere bedeutsam trennt – wirkt
genauso erotisch wie die zärtliche Umarmung der beiden Jungs am Strand.
Die genannten Beispiele stellen natürlich nur einige ausgewählte
Stücke dar, die ihre Ergänzungen und Entgegnungen in den weiteren
Arbeiten der Ausstellung „Slices of Life – Contemporary Photography“ finden.
Dicht an dicht hängen die Fotos als Fries, der sich über alle Wände
des vieleckigen Raumes erstreckt. Man nähert sich an, wird manchmal intim.
Wenn man sich durch den Fries durchgesehen hat, steht man wieder ganz am Anfang.
Slices of Life – Contemporary Photography bei Ferenbalm-Gurbrü Station
präsentiert Arbeiten von:
Christoph Anschütz (D)
Salomé Bäumlin
(CH)
Boris Becker (D)
Nicole Bianchet (D)
Gregor Brandler (D)
Kit Brown
(USA)
Udo Breger (CH)
Larry Clark (USA)
Cosimo Di Leo Ricatto (I)
Christoph
Draeger (CH)
Jimmie Durham (USA)
Victor Edé (F)
Ed van der Elsken (NL)
Slawomir Elsner (P/D),
Christian Ertl (D)
Frank Frede
(D)
Wolfgang Ganter (D)
Kathrin Grob (D)
Axel Heil (D)
Jan von Holleben
(D/GB)
John Isaacs (GB)
Jean-Pierre Khazeem (F)
Martin Kippenberger (D)
Jürgen Klauke (D)
Joachim
Koester (DK)
Christoph Kohlhofer (D)
Janne Lehtinen (FIN)
Thomas Lesser
(D)
Urs Lüthi (CH)
Annekatrin Meyers (D)
Richard Prince (USA)
Rodrigo
Valero Puertas (MEX)
Pipilotti Rist (CH)
Leo Rubinstein (USA)
Lucien Samaha (USA)
Stefanie Scheurell (D)
Dieter
Schleicher (D)
Andy Scholz (D)
Frank Siegle (D)
Ross Sinclair (Scotland)
Jules Spinatsch
(CH)
Anja Vormann (D)
Christiane Wöhler (D)
Jürgen Zimmermann (D)
George Zimbel (USA).
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