Dr.
Jens Schröter
www.theorie-der-medien.de
Ort und Form
Andy Scholz’ Auseinandersetzung mit der Stadt Altena ist
keine schlichte Dokumentation irgendwelcher Sehenswürdigkeiten.
Das leistet jede Postkarte. Vielmehr sucht sie die Darstellung
eines Ortes mit der Erforschung des fotografischen Bildes zu verbinden.
In dem Tableau automat sehen wir einen quer-rechteckigen Süßigkeitenautomat,
weiß und rot gerandet. Links daneben ein hoch-rechteckiges
Feld in hellem Blaugrau, vertikal gestreift – vielleicht
war dort einmal ein ähnlicher Automat oder eine andere Gerätschaft
angebracht, die rostigen Bohrlöcher sieht man noch. Man mag
denken: Nur ein abgelegener, schäbiger Ort, der den morbiden
Charme der Vergänglichkeit und Veränderlichkeit der Stadt
ausstrahlt. Doch es ist mehr: Die rechteckige Form des Automaten
spiegelt genau die rechteckige Form des querformatigen Fotos selbst.
Das hoch-rechteckige Feld verweist hingegen auf die Alternative
hochformatiger Fotografien. Der Künstler schrieb einmal: „Bei
meinen Gängen durch Altena stelle ich immer wieder fest, dass
ich mehr im Hochformat fotografiere. Grundsätzlich stelle
ich fest, dass meine Arbeit eher dem Querformat zugeneigt ist.
Vielleicht ist Altena eher hochformatig?“ Diese Fragen finden
sich in automat bildlich wieder (ähnlich funktioniert seine
Arbeit stromkasten). Ein anderes Beispiel: In schatten sehen wir – wiederum
aus quer und hoch stehenden Rechtecken zusammengesetzte – Schatten
auf den Boden eines leer stehenden Ladenlokals fallen. Scholz weiß genau: „Licht
und Schatten prägen das Arbeiten mit dem Medium Fotografie.“ Aber
diese Arbeit verweist mit den Schatten nicht nur auf das Prinzip
der Fotografie. Dadurch, dass die Schatten von Objekten außerhalb
des Bildes geworfen werden, zwingt uns der Fotograf über das
Verhältnis des fotografischen Bildes zu seinem Außen
nachzudenken. Fotografien schneiden immer ein Feld aus dem Sichtbaren
heraus, sie sind immer nur eine gezielte Selektion – in der
sich der Blick des Künstlers auf einen Ort, z.B. die Stadt
Altena, widerspiegeln kann. So zeigt das Bild nicht nur einen Ort,
sondern auch die Weise, wie man fotografisch einen Ort abbilden
kann – und muss.
Auf andere Weise gelingt diese Reflexion auf das Verhältnis
von Ort und Form in dem Tableau gitter. Wir sehen durch ein Metallgitter,
welches das Bild diagonal durchquert, hinab auf eine Straße,
auf der sich drei Männer an einem, offenbar defekten, weißen
PKW zu schaffen machen. Das Gitter verstellt uns die Sicht, als
ob es sich um ein heimlich gemachtes Polizeifoto handelt. Der Künstler
bemerkt: „Die Interpretation bleibt dem überlassen,
der eine Story daraus macht.“ Damit verweist er auf einen
weiteren fundamentalen Aspekt des fotografischen Bildes, den auch
schon der französische Theoretiker Roland Barthes immer wieder
unterstrich: Fotografien sind kommentarbedürftig. Da sie einen
Ausschnitt aus einem größeren Ganzen sind, weiß man
oft nicht, was sie bedeuten oder auch nur zeigen. Scholz gibt aber
keinen Kommentar und betitelt das Bild mit ’Gitter’,
betont also die Barriere, die uns von der Szene und ihrer wirklichen’ Bedeutung
trennt. Damit hebt er die Vielfalt möglicher Perspektiven
hervor, unter denen sich ein Ort zeigen kann – Altena ist
Altena ist nicht Altena ist Altena...
Das Gitter oder Raster, das auch die Arbeit kneipenfenster strukturiert,
hat aber noch eine tiefere Funktion. Es verweist zurück auf
ein Wissen, welches dem fotografischen Bild zugrunde liegt: die
Zentralperspektive. Schon an einem ihrer Ursprünge, in dem
Buch Die Malkunst (1435) von Leon Battista Alberti beschrieb dieser
ein „transparentes Tuch“, welches den „senkrechten
Schnitt durch die Sehpyramide“ darstellt und dessen „Gitter
[…] Messpunkte für die Gegenstände und Figuren
[bereitstellt], die der Maler auf ein entsprechend quadriertes
Blatt übertragen kann“ – wie die Kunsthistoriker
Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin bündig
zusammenfassen. So gesehen bezieht sich Scholz mit dem Gitter,
das ja auch in den Tüchern des Tableaus geschirrtücher
wieder auftritt, auf den Abbildungsmechanismus der fotografischen
Optik selbst. Man kann von den hier ausgestellten Arbeiten lernen,
dass künstlerische Bilder „nicht nur sichtbar sind und
nicht nur etwas sichtbar machen, sondern die Sichtbarkeit als solche
mit sichtbar machen“ – wie der Philosoph Bernhard Waldenfels
schreibt. So verbinden sie geschickt die Dokumentation eines Orts
mit der Erforschung der Form dieser Dokumentation selbst. Die Fotografien
von Altena sind auch Bilder darüber, was Fotografien sein
können.
Zur Ausstellung: „Fotografie“ in
der Stadtgalerie Altena
Eröffnung: 2. November 2006, 19.30 Uhr
Dauer: 02.11. bis 17.12.2006
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